COP27 muss das 1,5 Grad Celsius-Ziel aus der Intensivstation holen

Eine Einschätzung von Wolfgang Obergassel, Christof Arens, Christiane Beuermann, Carsten Elsner, Lukas Hermwille, Nico Kreibich, Juliane Schell und Max Schulze-Steinen

  • Statements 26.10.2022

Einleitung

Die nächste Klimakonferenz der Vereinten Nationen COP27 wird vom 6. bis 18. November 2022 in Sharm el-Sheik stattfinden. Sie findet vor dem Hintergrund eines weiteren Jahres mit katastrophalen extremen Wetterereignissen statt, wie den Überschwemmungen in Pakistan, Überschwemmungen und Stürmen im südlichen Afrika und historischen Dürren am Horn von Afrika, in China und Europa. Der jüngste Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) hat einmal mehr deutlich gemacht, dass diese Schäden mit zunehmender globaler Erwärmung weiter eskalieren werden.

Parallel dazu führte der russische Einmarsch in der Ukraine zu einem sprunghaften Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise. Eine Transformation der Weltwirtschaft ist dringend erforderlich, um diese vielfältigen Krisen wirksam zu bekämpfen. Doch die Welt ist noch weit davon entfernt. Dem IPCC-Bericht zufolge müssen die globalen Emissionen vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen und bis 2030 auf etwa 30 Gt CO2-Äquivalent reduziert werden, um eine Wahrscheinlichkeit von über 50% zu behalten, die Erderwärmung langfristig auf 1,5°C auf zu begrenzen und diese Marke auf mittelfristig gar nicht oder nur wenig zu überschreiben. Allerdings werden sich die Emissionen im Jahr 2030 bei der derzeitigen Politik voraussichtlich auf 57 Gt CO2-Äquivalent belaufen. Während die britische Konferenzpräsidentschaft am Ende der COP26 in Glasgow letztes Jahr verkündete, dass die Konferenz das 1,5°C-Ziel "am Leben erhalten" habe, ist das 1,5°C-Ziel immer noch auf der Intensivstation und es sind dringende Maßnahmen erforderlich, um es heraus zu holen.


Ehrgeiz und Umsetzung von Emissionsminderungen verstärken

Der "Klimapakt von Glasgow" forderte die Länder auf, ihre nationally determined contributions (NDCs) bis Ende dieses Jahres zu überarbeiten und zu verstärken, doch bisher haben dies nur 23 Länder getan. Darüber hinaus gibt es eine Umsetzungslücke: In vielen Ländern reichen die derzeitigen Maßnahmen nicht einmal aus, um ihre derzeitigen, zu schwachen NDCs zu erreichen.

⇒ Die COP muss daher erneut die Notwendigkeit betonen, sowohl die Ambitions- als auch die Umsetzungslücke zu schließen, und alle Länder auffordern, ihre NDCs und ihre aktuellen nationalen Politiken so bald wie möglich zu stärken.

Um die Klimaschutzmaßnahmen zu beschleunigen, wurde auf der COP26 ein Arbeitsprogramm zur Steigerung der Klimaschutzambitionen und von deren Umsetzung aufgestellt. Die COP27 muss die Einzelheiten festlegen.

⇒ Die COP sollte beschließen, dass das Arbeitsprogramm eine sektorale Perspektive einnehmen wird, da die Sektoren (Energie, Industrie, Verkehr usw.) die für die Emissionsreduzierung relevanten Handlungsbereiche darstellen. Im Rahmen des Arbeitsprogramms sollte daher eine Reihe von sektoralen Sitzungen einberufen werden, an denen einschlägige Fachministerien und nicht-staatliche Akteure teilnehmen, um

  • das globale Ziel, die Emissionen bis 2050 auf netto null zu reduzieren, auf die Ebene der einzelnen Sektoren herunterzubrechen, d. h. Zeitpläne und Fahrpläne dafür zu erstellen, wie jeder Sektor zur allgemeinen Emissionsreduzierung beitragen kann, sowie
  • Handlungshindernisse und Möglichkeiten zu deren Überwindung für jeden einzelnen Sektor und jedes einzelne Land zu ermitteln.

So wurde auf der COP26 mit der Aufforderung an die Vertragsparteien, den Einsatz sauberer Energien, sauberer Stromerzeugung und Energieeffizienzmaßnahmen rasch zu steigern, die Kohleverstromung ohne Emissionsabscheidung auslaufen zu lassen sowie ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen, ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Das neue Arbeitsprogramm zur Eindämmung des Klimawandels bietet einen geeigneten Rahmen für die Entwicklung spezifischerer Zeitpläne und politischer Strategien zur Umsetzung dieser Ziele sowie für die Entwicklung von sektoralen Zielen und Fahrplänen für andere Sektoren.

Darüber hinaus wurde auf der COP26 beschlossen, dass ab der COP27 auf jeder COP ein hochrangiger runder Tisch auf Ministerebene zum Thema Klimaschutzambitionen und -umsetzung stattfinden soll.

⇒ Die COP sollte beschließen, dass dieses jährliche runde Tisch als Kontrollpunkt für die Rechenschaftslegung genutzt wird, indem jedes Land aufgefordert wird, jedes Jahr zu demonstrieren, wie es die Ambitionen und die Umsetzung seiner Klimapolitik steigert. Der runde Tisch sollte eng mit dem Arbeitsprogramm zur Eindämmung des Klimawandels verknüpft werden: Sobald das Arbeitsprogramm mit der Ausarbeitung von Empfehlungen begonnen hat, sollten der runde Tisch Diskussionen darüber beinhalten, wie die Länder diese umsetzen.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis von Glasgow war eine Reihe von Vorreiterallianzen, z. B. zum Ausstieg aus der Kohle, zur Eindämmung und Umkehrung des Waldverlustes und zur Reduzierung der Methanemissionen.

⇒ Auf der COP27 müssen diese Vorreiterallianzen nachweisen, ob sie tatsächlich Fortschritte bei der Verwirklichung ihrer Ziele gemacht haben und wie sie sicherstellen werden, dass die Ziele letztendlich erreicht werden.

⇒ Um die Transparenz und Rechenschaftslegung zu maximieren, sollten die Länder, die Mitglieder dieser Vorreiterkoalitionen sind, diese in ihre NDCs aufnehmen, damit ihre Fortschritte im Rahmen der Transparenzmechanismen des Pariser Abkommens überprüft werden können.
 

Globale Bestandsaufnahme

Auf der COP27 wird die Globale Bestandsaufnahme (Global Stocktake – GST) im Rahmen des Pariser Abkommens fortgesetzt. Dabei handelt es sich um einen Prozess, bei dem die internationale Gemeinschaft eine Bestandsaufnahme der Angemessenheit ihrer Bemühungen zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens vornimmt. Die Länder sollen die Ergebnisse der GST bei der Entwicklung ihrer nachfolgenden NDCs berücksichtigen. Der erste GST findet von 2021 bis 2023 statt.

Die erste Runde der Technischen Dialoge für den ersten GST hat bie den Zwischenverhandlungen im Juni in Bonn begonnen. Vor allem die Plenarsitzungen des Technischen Dialogs waren noch sehr stark von Ländern geprägt, die ihre zuvor geäußerten Positionen wiederholten. Die Ko-Moderatoren des TD veranstalteten auch ein World Cafe, das einen konstruktiveren Dialog zwischen den Teilnehmer*innen ermöglichte.

Auf der COP27 wird der TD durch einen creative space ergänzt und die Nutzung von interaktiveren und direkteren Kommunikationsformaten weiter ausgebaut. Es wird interessant sein zu sehen, ob diese Formate die Delegierten in die Lage versetzen können, den Rahmen zu sprengen und einen echten Dialog zu beginnen, der sich auf Lösungen konzentriert.

⇒ Die GST kann nur dann erfolgreich sein, wenn es ihr gelingt, konkrete Empfehlungen und Benchmarks vorzulegen, idealerweise entlang sektoraler Linien. Die bloße Feststellung des Offensichtlichen – dass die kollektiven Maßnahmen weit hinter dem Notwendigen zurückbleiben – würde jede Chance vereiteln, die GST zu nutzen, um Ehrgeiz und Umsetzung auf nationaler Ebene zu fördern.
 

Artikel 6

In Glasgow haben die Vertragsparteien ein umfassendes Regelwerk für die freiwillige Zusammenarbeit nach Artikel 6 des Pariser Abkommens angenommen. Angesichts der Einigung auf das Regelwerk nach Artikel 6 und anderer Themen wie Anpassung und Schäden und Verluste, die in Sharm-el-Sheik ganz oben auf der Tagesordnung stehen, ist es unwahrscheinlich, dass der marktbasierten Zusammenarbeit die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wird wie auf der COP26.

Einige technische und auch einige politische Fragen sind jedoch noch offen und werden in Sharm-el-Sheik diskutiert werden. Dazu gehören:

  • Details zur Art. 6-Infrastruktur, einschließlich der Register für Transaktionen und der nationalen Regelungen für Länder, die sich an Art. 6 beteiligen;
  • Detaillierte Anleitungen zur Anwendung der entsprechenden Anpassungen, insbesondere für Länder, die Klimaschutzziele für einzelne Jahre festgelegt haben und die im Prinzip eine Mittelwertbildung vornehmen können, ein Ansatz, der Bedenken hinsichtlich der Umweltintegrität aufgeworfen hat;
  • Der Katalog der Aktivitäten, die für Artikel 6 in Frage kommen können – sollten z. B. Projekte zugelassen werden, die "Emissionen vermeiden", ein Begriff, der im Rahmen des UNFCCC noch nicht definiert wurde;
  • Operationalisierung des Anteils der Erlöse für Anpassung und "Gesamtminderung der globalen Emissionen";
  • Operationalisierung des Übergangs von Aktivitäten aus dem Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung des Kyoto-Protokolls zu Artikel 6 und der Verwendung von Zertifikaten aus diesem Mechanismus zur Erreichung der NDCs;
  • vereinfachte Regeln für die am wenigsten entwickelten Länder und die kleinen Inselstaaten.

⇒ Bei der Behandlung dieser und anderer Fragen wird sich die Konferenz auf Regeln einigen müssen, die eine schnelle Umsetzung von Artikel 6 ermöglichen, ohne die Integrität des Instruments zu opfern. Ein solches Gleichgewicht wird von größter Bedeutung sein, zum Beispiel bei der Entscheidung, ob die Infrastruktur nach Artikel 6 auf bestehenden Elementen aufbauen kann, die außerhalb des Pariser Abkommens entwickelt wurden, oder ob eine eigene Struktur erforderlich ist. Dabei sollten die Verhandlungsführer berücksichtigen, dass die Bereitschaft der Vertragsparteien, von der freiwilligen Zusammenarbeit Gebrauch zu machen, sehr unterschiedlich ist und dass die Regeln eine breite Beteiligung ermöglichen. Die Gewährleistung der Umweltintegrität und die Möglichkeit, dass Artikel 6 zur Steigerung der Ambitionen beiträgt und gleichzeitig Vorteile für die nachhaltige Entwicklung bietet, sollten bei diesem Prozess als Leitprinzipien dienen.

Klimafinanzierung

Auf der Kopenhagener Konferenz im Jahr 2009 verpflichteten sich die Industrieländer, ab 2020 jedes Jahr 100 Mrd. USD an finanzieller Unterstützung für die Entwicklungsländer zu mobilisieren. Die Industrieländer haben diese Zusage nicht eingehalten. Nach Angaben der OECD haben sie im Jahr 2020 nur 83,3 Mrd. USD mobilisiert, nach anderen Quellen sogar noch weniger. Die Nichteinhaltung dieser Zusage durch die Industrieländer beeinträchtigt nicht nur die Fähigkeit der Entwicklungsländer, ihre Emissionen zu verringern und sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, sondern vergiftet auch das Verhandlungsklima auf der Klimakonferenz.

Im Vorfeld der COP26 hatten die Industrieländer einen Klimafinanzierungsplan entwickelt, der die Zuversicht zum Ausdruck bringt, dass das 100-Milliarden-Ziel bis 2023 erreicht werden kann. Darüber hinaus sollen die Staaten bis 2025 ein neues Ziel für die Klimafinanzierung vereinbaren, das über das 100-Milliarden-Ziel. Eine weitere Diskussion wird sich mit dem Aspekt befassen, wie die globalen Finanzströme insgesamt mit niedrigen Treibhausgasemissionen in Einklang gebracht werden können. Es gibt auch die Idee, dass die Entwicklungsländer durch die langjährige Bereitstellung einer kohlenstoffintensiven Lebensweise im Globalen Norden über eine Kohlenstoffgutschrift verfügen. Diese Gutschrift könnte in Schuldenerlass und finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer umgewandelt werden, um den fiskalischen Spielraum zu vergrößern.

⇒ Auf der COP27 müssen die Industrieländer deutliche Fortschritte bei der Schließung der Finanzierungslücke nachweisen. Außerdem sollten sie sich verpflichten, etwaige jährliche Defizite auszugleichen, indem sie im Zeitraum 2020-2025 im Jahresdurchschnitt mindestens 100 Mrd. USD bereitstellen (d. h. insgesamt mindestens 600 Mrd. USD).

Neben der Frage der Gesamtfinanzierung des Klimaschutzes stellt sich auch die Frage nach dem jeweiligen Gewicht von Emissionsminderungen und Anpassung. In Kopenhagen und danach haben sich die Industrieländer zu einer "ausgewogenen" Verteilung der Finanzmittel verpflichtet. Bisher floss jedoch der größte Teil der Klimafinanzierung in die Emissionsminderung. In Glasgow einigten sich die Industrieländer darauf, die Finanzmittel für die Anpassung bis 2025 gegenüber 2019 mindestens zu verdoppeln, was etwa 40 Mrd. USD entspricht.

⇒ Auf der COP27 sollten die Industrieländer angeben, wie sie dieses Ziel erreichen wollen und wie sie sicherstellen wollen, dass diese Mittel diejenigen erreichen, die sie am dringendsten benötigen.
 

Verluste und Schäden

Darüber hinaus wird der Umgang mit Verlusten und Schäden infolge des Klimawandels ein zentrales Thema in Sharm El-Sheikh sein. Die Entwicklungsländer, die von den negativen Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen sind, haben die Einrichtung einer speziellen Finanzfazilität gefordert. Eine Finanzierungsregelung für Verluste und Schäden steht bisher nicht auf der Tagesordnung, aber die G-77 und China haben darum gebeten, sie hinzuzufügen. Sollte es hier zu keiner Einigung kommen, würde dies die Konferenz von Anfang an belasten. Die Industrieländer haben bisher gezögert, sich auf dieses Thema einzulassen, aber die zunehmenden Verwüstungen durch den Klimawandel unterstreichen die Notwendigkeit, sich konstruktiv mit diesem Thema zu befassen.


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